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Offener Brief der Synagogengemeinde Konstanz K.d.ö.R.

zur Aufführung von „Mein Kampf“ im Konstanzer Stadttheater

2. Ijar 5778 // 17. April 2018 // Der Vorstand

Sehr geehrter Oberbürgermeister Burchardt, 

Sehr geehrter Bürgermeister Dr. Osner, 

 

mit größter Besorgnis verfolgte die Synagogengemeinde Konstanz K.d.ö.R. in den vergangenen Tagen die Diskussion um die Aufführung von „Mein Kampf“ unter der Regie von Serdar Somuncu im Stadttheater. Unsere Hoffnung, das Theater würde entsprechend angemessen auf die heftige Kritik eingehen, wurde nach der Pressekonferenz am 17.04.2018 enttäuscht. 

 

An Abartigkeit nicht zu übertreffen ist das Festhalten des Theaters an dem Angebot Freikarten an Personen auszugeben, die während der Aufführung ein Hakenkreuz tragen sollen; Besucher_innen, die den regulären Preis zahlen, sollen einen gelben Davidstern tragen. Zwar hat das Theater die Bedingungen abgeschwächt, sodass das Tragen des Davidsterns optional ist, doch sind die Hakenkreuztragenden weiterhin an ihre Pflicht gebunden. 

 

Auf der Seite des Theaters heißt es „[...] bieten wir Ihnen an, im Theatersaal einen Davidstern als Zeichen der Solidarität mit den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu tragen.“ Wir stellen das richtig: Die Opfer der Schoa brauchen keine Solidarität von Personen, die sich zwischen dem Zahlen oder Nichtbezahlen für eine Theaterkarte entscheiden können. Die Opfer der Schoa hätten die Hilfe gebraucht, bevor sie Opfer geworden sind – als man die Wahl über Leben oder Tod hatte. Diese künstlerische Parallele zu ziehen ist widerwärtig. Die Analogie die daraus hervorgeht - wenn du ein „Nazi“ bist, zahlst du nichts und „Juden“ werden zur Kasse gebeten und sind die Benachteiligten, klingt nach einem schlechten Witz. 

 

Schlimmer noch: Somuncu und das Theater Konstanz scheinen dermaßen einfallslose Instrumente als sinnvoll zu erachten, um eine „kritische Diskussionen über Themen der Gegenwart“ anzustoßen, wie der Südkurier (07.04.2018) in dem Interview mit Somuncu berichtet. Durch geschmackslose Methoden soll gezeigt werden "wie schnell man Menschen korrumpieren könne.“

 

Als betroffene Minderheit sagen wir, dass diese Auseinandersetzung ohne Einbezug der Betroffenenperspektive selbst stattfindet, die eine solche Aktion als nichts weiter empfindet, als aufmerksamkeitsgeile Instrumentalisierung. Zuschauern einen Judenstern anzuheften, legt den Fokus nicht auf die Schicksale der Ermordeten, sofern dies in der Narrative der Veranstalter überhaupt eine Rolle spielt, sondern auf Nazisymbolik und -kult. Sollte es hier um Erinnerungskultur gehen, so wurde sie schlicht nicht verstanden.

Der Höhepunkt der Perversion ist jedoch die Aufführung der Premiere an Hitlers Geburtstag, dem 20. April. Diese Idee stammt von Nix, an der er während der Pressekonferenz festhielt.

 

Wir halten viel von Provokationen, die einen gewinnbringenden gesellschaftlichen Diskurs anstoßen. Auf dieser Basis wurde das Theaterstück geschrieben. Das „Abschwächen“ der Teilnahmebedingungen zeigt für uns jedoch deutlich: Das Theater ist nicht an der sensiblen Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich interessiert und hat die Kritik nicht verstanden. Von Bedeutung scheinen lediglich die Verkaufszahlen nach „erfolgreicher“ PR-Aktion und die Reichweite, die mit dieser Provokation erreicht werden kann. Was von dieser plakativen Maßnahme jedoch nicht bleiben wird, ist ein gesellschaftlicher Diskurs, sondern nur das Bild der Zuschauenden, die mit Nazisymbolik ausgestattet waren. Damit wird dem Nazikult gedacht, nicht jedoch ihren Verbrechen.

 

Wann sind Kulturbetrieben die kreativen Mittel ausgegangen, mit denen man für die Darstellung faschistischer Entwicklungen in der Gesellschaft kein Hakenkreuz oder Judenstern braucht? Mit Nazisymbolik zu gedenken verfehlt die gesamtgesellschaftliche Herausforderung und „Intention“ der Veranstalter, Erinnerungskultur in zivilisatorische Verantwortung umzusetzen.Juden werden zum Auschwitzinsassen, zum Judenstern reduziert, haben keine Lebensgeschichte in dieser Rhetorik; keine Persönlichkeit, keinen Namen. Schoa ist kein Rollenspiel, Schoa war systematisierter Völkermord.

 

Die Synagogengemeinde Konstanz K.d.ö.R. schließt sich dem Boykottaufruf der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Konstanz e. V. an. Wir fordern, dass die Premiere überdacht, vertagt und die Nazisymbolik entfernt werden. Als Konstanzer liegt es in unserer Verantwortung die Erinnerung an die 118 deportierten und verfolgten Konstanzer Juden und Opfer der Schoa aufrecht zu erhalten und diese NICHT zu instrumentalisieren!

 

Der Vorstand

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